Predigt frei nach Henkes
Die gezeigte Predigt ist Teil des Theaterstücks "Abgerungen" und wurde nicht von Richard Henkes wortgleich gehalten.
Der Text basiert auf überlieferten Fragmenten, dem Sprachduktus Henkes' und dem tatsächlichen Thema seiner letzten, vor der Verhaftung gehaltenen Predigt.
Text der Predigt
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?
Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Gefahr oder
Schwert?
Wie geschrieben steht (Ps 44,23): Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod
ausgesetzt, wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat.“ (Röm 8, 35f)
Geliebte Schwestern und Brüder,
was kann uns scheiden – wer will uns scheiden von der Liebe Christi?
Ja, es gibt Kräfte, die uns von der Liebe Christi trennen wollen … die uns die Überzeugung rauben wollen, dass ausnahmslos jeder Mensch von Gott bejaht und geliebt ist. …
Diese Kräfte kämpfen mit allen Mitteln in uns und um uns. Sie kämpfen mittels Schwert und Verfolgung, mit Angst und Unterdrückung. Sie wollen den Menschen von Gott seinem Schöpfer trennen. Sie wollen als Herrenmenschen die Macht über den Menschen gewinnen. – Mit ihrer Machtbesessenheit setzen sie sich selbst an die Stelle Gottes.
Sie schrecken vor nichts zurück, machen nicht halt vor Alten, Kranken und Behinderten, vor Schutzlosen und Benachteiligten. Sie zeigen Bilder von Menschen mit Wasserkopf und versehrten Gliedmaßen, stellen sie bloß und verhöhnen sie. Sie nennen diese Menschen, die unserer Hilfe bedürfen "Schädlinge am Volksvermögen". Sie würden den angeblich Gesunden das Essen wegessen, nur Kosten verursachen und nichts zum Gemeinwohl beitragen.
Wer so redet, stellt sich über Gott, maßt sich an, Gottes Ebenbilder einzuteilen: In Rassen und in Volksangehörige, in Randgruppen und Minderheiten, in gesund und krank, in lebenswert und lebensunwert.
Doch wer ist krank und wer ist gesund?
Ein gesunder Mensch erkennt in seinem Mitmenschen dessen Wert und unantastbare Würde und steht dafür ein. Er leistet Hilfe, wenn es gefordert ist. Er sorgt für den anderen und lässt ihn Menschlichkeit erfahren. Ein Christ schaut dabei auf Jesus und nimmt sich dessen Menschenfreundlichkeit zum Vorbild. Er orientiert sich an Jesus, der Gottes Liebe zu jedem einzelnen Menschen erfahrbar machte. Und er sieht Jesus in jedem Notleidenden, der ihm begegnet.
Geliebte, die christliche Überzeugung, dass jeder Mensch von Gott gewollt und geliebt ist, lässt uns die Missachtung Gottes und die Missachtung der Menschenwürde und Mitmenschlichkeit als die wahre Krankheit erkennen. Und ich benenne das, was mit Behinderten und Pflegebedürftigen geschieht als das, was es ist: als „Mord an Wehrlosen“ und damit als Mord an der Menschlichkeit.
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Ich bin gewiss, weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten noch irgendeine Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“ (aus Römer 8,35-39)
Brüder und Schwestern, das ist das Zentrum! Für diese Wahrheit stehen wir ein. Für die Würde
jedes Menschen sind wir gerufen, in Wort und Tat zu kämpfen!
Allein sind wir überfordert. Doch Gott ist bei uns und gibt dazu die Kraft. Seine Wahrheit und Liebe
machen uns frei von der Angst um uns selbst.
Ja, seid gewiss: Der Herrgott stärkt unseren Einsatz und Kampf für den unterdrückten und
entwürdigten Menschen. – (AMEN)